3. Der Kleine Rote Fisch als Farmer

Eines schönen Sonntagmorgens erwachte der Kleine Rote Fisch vom köstlichen Duft der Frühstücksalgen, die Papa Rotfisch zubereitet hatte. „Algen, super!“, rief der Kleine aus, stand auf und putzte sich die Zähne und eilte so schnell er konnte zum Frühstückstisch.
„Guten Morgen, Papa“, begrüßte er seinen Vater und umflosste ihn zärtlich. „Wo ist Mama?“
„Sie arbeitet.“, antwortete Papa Rotfisch. Mama Rotfisch war von Beruf Umweltwissenschaftlerin, eine echte Doktorfischin, und hatte an der Universität für unterseeische Angelegenheiten studiert. Sie leitete eine Studie, die die Auswirkung der von Menschen verursachten Verschmutzungen auf das Schöne Bunte Riff, in dem ihre Familie lebte, untersuchte. Daher arbeitete sich auch oft am Wochenende.

„Ich habe übrigens heute auch Dienst. Der Bürgermeister hat wieder einmal die Ordnungsmacht einberufen, also mich.“, scherzte er. „Der Napoleonfisch hat Anzeige erstattet. Angeblich droht eine feindliche Invasion. Das ist natürlich kompletter Blödsinn, aber was soll man machen? Er hat die entsprechenden Formulare ausgefüllt und jetzt muss ich unser Riff umrunden um sicherzustellen, dass uns keine feindlichen Schwärme bedrohen. Du wirst also den ganzen Tag allein sein. Magst du nicht einen Freund besuchen?“

Der Kleine Rote Fisch war damit einverstanden und, sobald er seine Algen gefrühstückt hatte, machte er sich rasch zur Nachbarhöhle auf, wo die Familie Blaufisch mit seinem besten Freund, dem Kleinen Blauen Fisch, wohnte. Dort angekommen klingelte er an der Eingangstür und wurde auch sogleich hineingebeten.

Blaufischs hatten für einige Tage Besuch von einem Cousin. Der unterhielt sich mit den Eltern, während sich der Kleine Blaue Fisch langweilte. „Lass und nach draußen schwimmen,“ schlug dieser vor, „und mal sehen, was wir unternehmen können.“

Auf ihrem Weg zum Hauptplatz schwammen sie der Kleinen Weißen Fischin über den Weg und luden sie ein, sich ihnen anzuschließen, was diese umso lieber tat, als sie auch nicht so recht wusste, was sie mit diesem schönen Tag anfangen sollte. Als sie am Hauptplatz angelangt waren, sahen sie Herrn Schwertfisch, der soeben dabei war, eine große Kiste zu öffnen. Herr Schwertfisch war der Eigentümer des Algengeschäfts, auch AL-DI, also Algen-Diskonter, genannt.

„Guten Morgen, Herr Schwertfisch!“, grüßte der Kleine Rote Fisch.
„Was machen sie dann da?“

„Guten Morgen, Kinder!“, antwortete der Schwertfisch. „Diese Kiste wurde mir gestern geliefert, und heute habe ich Zeit, mich darum zu kümmern. Da ist eine Algenerntemaschine drin. Ihr wisst ja, dass ich bisher die Algen immer mit Hilfe meiner schwertförmigen Nase geerntet habe. Aber der technische Fortschritt macht schließlich auch vor unserem Riff nicht Halt, und mit dieser Maschine werde ich mehr und schneller meine Algen liefern können und die Qualität wird sogar auch besser sein.“

„Super!“, rief der Kleine Rote Fisch aus und leckte sich die Lippen. „Noch mehr Algen! Man kann nie genug Algen haben!“
„Ach ja, stimmt! Du bist ja als großer Liebhaber meiner Produkte bekannt.“ Lächelnd setzt Herr Schwertfisch fort: “Wenn ihr wollt, nehme ich euch zu meinen Algenfeldern mit. Aber nur, wenn eure Eltern einverstanden sind.“

„Das ist sicher kein Problem. Mein Vater macht gerade eine Runde um das Riff, wir treffen ihn bestimmt unterwegs. Und wenn er einverstanden ist, dann sind es auch die anderen.“

„Gut, ich werde ihn fragen. Aber warum ist dein Vater auf Patrouille? Sicher wieder wegen des Napoleonisches und seiner eingebildeten Feinde, gegen die er uns siegreich in den Kampf ziehen lassen will. Na ja!“, und als der Kleine Rote Fisch das bestätigte, fügte er hinzu: „Ihr könnte mir aber jetzt schon helfen. Die Maschine muss zusammengesetzt werden, bevor man sie benützen kann.“

Die Kleinen Fische machten sich mit Feuereifer und unter der Anleitung von Herrn Schwertfisch an die Arbeit und in einer knappen Stunde war alles erledigt. „Das ist ein hypermodernes Gerät.“, erklärte der Schwertfisch. „Wie gesagt, bis jetzt habe ich für die Algenernte immer nur mein Schwert benützt. Aber mit diesem Algenernter bricht ein völlig neues Algenzeitalter an.“

Die Kleinen Fische machten große Augen und hörten voll Bewunderung den Ausführungen von Herrn Schwertfisch zu. Staunend erfuhren sie, dass die Maschine auch schwimmen konnte und man darauf sogar fahren konnte. „Steigt auf, Kinder.“, sagte der Schwertfisch, „Wir wollen zunächst Papa Rotfisch suchen.“

Sie setzten sich also auf den vielseitigen Algenernter und machten sich zum nördlichsten Rand des Riffes auf, wo sie auch bald auf Papa Rotfisch stießen. Der war mit dem Ausflug der Fischjugend einverstanden, wobei er auch im Namen der beiden anderen Eltern sprach. „Ich gebe euren Familien Bescheid“, versprach er, „das wird kein Problem sein. Herr Schwertfisch wird schon gut auf euch aufpassen. Aber seid auch ihr wachsam, schließlich verlasst ihr das Schöne Bunte Riff und Herr Schwertfisch kann seine Augen nicht überall haben. Bleibt zusammen, man weiß nie, ob es in der Gegend nicht auch Raubfische gibt.“

Die Kleinen Fische versprachen, artig zu sein und Herr Schwertfisch sagte scherzend: „Zu Befehl, Herr Hauptmann!“, dann machten sie sich zu den Algenfeldern auf.

„Hier seht ihr bereits vor euch mein erstes Algenfeld.“, erklärte der Schwertfisch. „Es liegt genau vor dem Kelpwald, in dem ich auch etwas abernte, aber nicht zu viel, denn der ist ja besonders schutzwürdig. Deine Mutter, Kleiner Roter Fisch, hat darüber eine Arbeit verfasst: Viele Jungtiere leben so lange in seinem Schutz, bis sie groß genug sind, um im offenem Meer überleben zu können. Bei diesem ersten Feld, ihr sehr es an der Farbe, handelt es sich um eine für die Küstengewässer typische Rotalgenplantage. Wollt ihr noch mehr über die Algen erfahren?“

„Oh ja, bitte, Herr Schwertfisch!“, riefen die Kleinen Fische im Chor, worauf der Schwertfisch fortfuhr: „Es gibt über 10.000 verschiedene Arten von Algen. Sie kommen sowohl im Salz- als auch im Süßwasser vor. Das ist nicht salzhaltiges Wasser, in dem wir nicht atmen könnten. Es gibt ganz kleine, einzellige Algen und andere wieder sind riesig groß und können mehrere hundert Meter lang werden. Sie alle dienen einer großen Menge von Meerestieren als Nahrung, Muscheln, Krabben oder natürlich auch uns selbst. Die Algen, die wir zu uns nehmen sind alle zur Photosynthese fähig, das heißt, sie ernähren sich mithilfe des Sonnenlichts.“

„Darüber haben wir auch in der Schule gesprochen.“, bemerkte die Kleine Weiße Fischin. „Herr Oberstudienrat Klein-Tuemmler hat uns diese Fähigkeit, die die Pflanzen besitzen, erklärt!“, aber der Kleine Blaue Fisch meinte: „Das kann ich mir nicht alles merken. Da gibt es ja mehr Fachausdrücke als beim Flossenball. Und wie ernten Sie sie?“

„Das zeige ich euch jetzt.“, antwortete der Schwertfisch. „Wir sind schon da, schaut also gut zu.“ Und er begann mit seiner schwertförmigen Nase die Rotalgen abzuschneiden, bis er einen ganzen großen Sack voll davon hatte. „Dies ist also die traditionelle Methode,“ erklärte er, schauen wir uns jetzt an, wie es mit meiner schönen neuen Maschine funktioniert.“ Mit diesen Worten bestieg er wieder seinen Algenernter, startete ihn und das große Rad am Heck der Maschine begann sich zu drehen.

Die Maschine spie nun im Abstand von wenigen Muränenlängen jeweils einen vollen Sack aus und innerhalb weniger Minuten konnte der Schwertfisch auf eine Ernte von 10 Säcken blicken. „Phantastisch! Das funktioniert ja ganz wunderbar! Ich spendiere meine erste maschinell eingebrachte Ernte unserer Gemeinschaft und wir machen ein großes Algenfestessen für alle!“

„Algen!“, rief der Kleine Rote Fisch aus, „Ein Algenabendessen!
Echt genial!“

Plötzlich rief die Kleine Weiße Fischin aus : „Da schwimmt jemand durch das Kelp. Es sind sogar mehrere und sie sind sehr groß.
Wer kann das sein?“

„So ein Mist!“ ärgerte sich der Schwertfisch. „Das ist sicher der Thun. Wenn der nicht so entsetzlich dumm wäre, könnte ein gefährlicher Gangster aus ihm werden. Er tut sich gern mit dem Tigerhai zusammen, der von Zeit zu Zeit in unserer Gegend jagt. Aber jetzt kommt er in Gesellschaft von vier Rochen und ich bin überzeugt, dass sie es auf die Algen abgesehen haben.“

„Was! Algen wollen die stehlen! Das muss man unbedingt verhindern!“, entsetzte sich der Kleine Rote Fisch.

„Aber wie sollen wir das anstellen?“, fragte der Kleine Blaue Fisch, „Sie sind in der Überzahl.“ Sie waren völlig ratlos. Der Thun und seine Komplizen hatten den Schwertfisch und die Kleinen Fische noch nicht bemerkt und fingen in der Tat an, eines der Algenfelder abzuernten. Plötzlich sah der Kleine Rote Fisch aber einen großen Schwarm Hummer herankommen. Der Vorderste, ein großes, mit gefährlichen Zangen ausgerüstetes Exemplar, begrüßte sie: „Hallo, wie geht’s? Ihr schaut nicht sehr glücklich drein.“

Der Schwertfisch schilderte die Lage, worauf der Hummer sagte: „My Goodness! Tabarnak! Gestatten, mein Name ist Samuel Lobster und dies ist meine Gemahlin Kimberlee. Die Bande da hinter uns, das sind unsere Kinder. Wir sind aus Kanada und kommen zum Sightseeing und zum Shopping. Aber jetzt werden wir euch zunächst einmal helfen.“ Und der Hummer begann, seinen Klan aufzuteilen: „Du, Eliah, schleichst dich mit 10 deiner Brüder von hinten an diese Spinner an, Bileam und Abraham, geht mit 12 anderen auf die linke Seite. Ich komme mit Uriah und unseren 10 Jüngsten von rechts. Kimberlee, du verteidigst mit Abigail die Mitte. Let’s go, guys!“

Geschickt umringten die Hummer die Banditen und machten sich erst bemerkbar, als diese komplett eingekreist waren. Dann traktierten die Hummer ihre Opfer mit den Zangen. „Au! Schmerz! Stop!“ schrieen diese und ließen ihre Beute fallen. Nach wenigen Augenblicken ergriffen der Thunfisch und seine Genossen die Flucht und die Kleinen Fische konnten die Algensäcke einsammeln, die die Übelstäter zurückgelassen hatten.

„Ich weiß nicht, wie ich ihnen danken soll!“, sagte der Schwertfisch zu Herrn und Frau Lobster. „Wir waren gerade dabei, meinen neuen Algenernter auszuprobieren und ich habe den Kleinen Fischen hier meine Algenfelder gezeigt, als wir die Diebe bemerkten. Wir hatten die Absicht, heute Abend ein kleines Fest zu veranstalten und ich möchte sie alle sehr gerne dazu einladen.“

Der Kleine Rote Fisch fügte hinzu: „Sie haben ein besonders grauenvolles Verbrechen verhindert: Algenraub!“, aber der Hummer wehrte ab: „Willkommen! Es war uns ein Vergnügen, ihnen helfen zu können. Wir kommen gerne heute Abend zu ihrem Fest, nicht wahr, Kimberlee? Aber zuvor würden wir gerne ihre Felder und die Maschine, von der sie sprachen, näher ansehen dürfen.“

So machten sie also noch eine Runde um die Grün- und Braunalgenfelder, um schließlich zum Riff zurückzukehren, an dessen Eingang Papa Rotfisch nach wie vor Wache hielt. „Hat alles geklappt?“, fragte er den Schwertfisch, der von ihrem Abenteuer berichtete und hinzufügte: „Die Kleinen waren aufmerksam und brav, und außerdem lade ich alle Bewohner des Schönen Bunten Riffs für heute Abend zu einem Algenbankett ein. Ich werde die Besitzer der Tollkühnen Seeschnecke bitten, mir zu helfen. Könnten sie inzwischen die anderen informieren.“

„Mach‘ ich gerne.“, antwortete Papa Rotfisch lächelnd. „Ich finde die Idee großartig, und dank unserer kanadischen Freunde müssen wir auch keine gefährlichen Feinde mehr zurückschlagen“.

Die Mundpropaganda funktionierte ausgezeichnet und am Abend fanden sich die Hummer und die Riffbewohner alle vor der Algenkneipe ein. Dort wurden die von Herrn Schwertfisch gespendeten Algen zubereitet und die Wirtsleute hatten auch eine große Menge Algensaft bereitgestellt. Der Kleine Rote Fisch war im siebenten Himmel, umso mehr als die Hummer auch seine geliebte Kuschelkrabbe bewundert hatten.

Als Mama und Papa Rotfisch ihn zu Bett brachten, schloss er die Augen und schaffte es gerade noch vor dem Einschlafen zu murmeln: „So viele Algen, so viele Algen!“

© 2017 Olivier Fuchs – http://www.derkleinerotefisch.de